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Im Epizentrum des Jazz

Um die Jubiläumsausgabe der Jazzopen in Stuttgart gab es ja bereits im Vorfeld heftige Kontroversen. Der Unmut der Fans des Genres: Was haben Kraftwerk oder die Fantastischen Vier mit Jazz zu tun? Wer hätte die Kritiker besser ruhigstellen können als Europas derzeit wohl innovativster Jazzpianist Michael Wollny. Mit seinem formidablen Trio hat er in diesem Jahr die zwei ganz herausragenden Alben „Oslo“ und Wartburg“ als Doppelschlag veröffentlicht, die Konzerte sind sowieso immer ein Ereignis. So auch bei den 25. Jazzopen.

So unscharf der fotografische Hintergrund der Bühne, so tiefenscharf die Kompositionen und Interaktionen. Jazz offen und doch nicht free. Der ewig rasante „Phlegma Fighter“, Wollnys neue Farbenlehre, Interpretationen unterschiedlichster Klassikstücke – Hindemith wird da schon mal zum Schlachtruf fürs Publikum – Jazz pur und frei bewegt. Minimalistisch, expressiv, gewittrig explosiv und verinnerlicht – vor allem aber immer wieder neu klingt das. Eric Schaefer, längst Deutschlands wichtigster Schlagzeuger, und Christian Weber am Bass leben live einen atemberaubenden chemischen Jazzprozess, werfen Setlists im Spiel um. Kurze Impulse bewegen alles neu. Absolute Wachheit im Kern des Momentums, zwei Stunden der höchsten Konzentration, um solche Verwirbelungen und stets neue Wendungen und Steckverbindungen zwischen Stücken aus dem Nichts entstehen zu lassen. Das begeisterte Publikum klatscht am Ende nach der Zugabe „Little Person“ stehend. Die drei Musiker sind klatschnass. Alles gegeben.

Inzwischen hat man das Gefühl, dass Schlagzeuger Eric Schaefer Ihnen Harmoniefolgen und Melodien auf den Leib schreibt, die sie früher so selber komponiert hätten.
Michael Wollny: In unserer Zusammenarbeit war Eric schon immer der Komponist. ich habe im Lauf der Jahre wirklich sehr viel von ihm für das eigene Komponieren lernen können. In der Zeit, in der ich drei Stücke schreibe, schreibt er gefühlt 30. Dann werden sie geprobt, und es entsteht eine Schnittmenge. Und da sind eben auch die ganzen Abenteuer im Kopf, die wir in den vergangenen 15 Jahren gemeinsam erlebt und die uns als Band verändert haben. Der große Unterschied zwischen uns als Komponisten: Während ich fast immer nur für unser Trio schreibe, komponiert Eric für so viel verschiedene Bands und Projekte, dass er das für das Wollny Trio sehr bewusst und fokussiert macht.

Wo würden Sie denn die größte Veränderung des Michael Wollny Trio in den vergangenen Jahren sehen?
Michael Wollny: Das Material ist fluide. Wir versuchen nicht zu viel zu arrangieren, sondern wollen immer mehr in der Luft halten. Vieles soll spontan passieren. Das eigentliche Betriebsgeheimnis des Trios ist allerdings, dass wir alle so viel Unterschiedliches machen und alles immer in Bewegung ist. Es gibt ja dieses Band-Konzept, sich nur auf das eine zu konzentrieren. Das erschien uns immer viel zu eng und gefährlich. Unsere Musik wird durch viele, unterschiedliche Schauplätze in Bewegung gehalten. Auch Erics Kyoto-Projekt mit japanischen Musikern findet sich beispielsweise in ganz kleinen Dosen in unseren aktuellen Stücken wieder. Für mich ist es so, als sei man viel auf Reisen und träfe sich dann im Trio-Kontext und erzählt sich musikalisch all die Erlebnisse. Und man darf nie vergessen: Studioaufnahmen und Konzerte sind ja letztlich nur die Spitze des Eisbergs nach all den unterschiedlichen Proben und Kompositionen, die nie jemand hören wird.

Wo sehen Sie denn Ihre eigene Stärke?
Michael Wollny: Ganz klar: Meine Stärke liegt im Moment. Ich bekomme immer dann das Gefühl von Klarheit, Dringlichkeit, Energie und Eingebung, wenn der Moment bevorsteht oder passiert.

Und wo sehen Sie Ihre Konstante am Piano und als Komponist?
Michael Wollny: Ich liebe Dreiklänge, einfache dreistimmige Dur- und Moll-Akkorde. Für diese eine passende Umgebung zu finden und zu schaffen, das ist für mich eine konstante Suche. Diese resonanten Säulen in immer neue Kontexte zu stellen. Musik zu finden, die nicht banal ist, aber trotzdem hörbar. An den Grenzen der Tonalität zu schreiben, allerdings diese nicht zu verleugnen.


Sie haben im Frühjahr mit „Oslo“ und „Wartburg“ gleich zwei neue Alben veröffentlicht, die an zwei völlig unterschiedlichen Orten entstanden sind. Wie haben sich diese Räume auf die Stücke und die Improvisationen ausgewirkt?
Michael Wollny: Räume machen vieles mit einem. Die Atmosphäre, die Architektur, das Licht, natürlich auch die Zuhörer. In einem Club fühlt sich das ganz anders an als in einem Theaterraum oder einer Kirche. Da ist etwas Feinstoffliches, das Einfluss nimmt. Und im Studioraum hält man sich sowieso in einer künstlichen Akustik auf. Alles klingt sehr trocken, und man hört die Anderen so direkt wie sonst nie. Das ist so ähnlich, als würde man die Musik unter einem Mikroskop wahrnehmen. Die beiden Alben leben aber zudem von der komplett unterschiedlichen Dramaturgie. Im Studio hat man seinen Tagesablauf, sein ganz bestimmten Rhythmus, konzentriert sich auf ein oder zwei Aufnahmesessions am Tag. Beim Konzert spitzt sich alles brennglasartig auf diesen zwei Stunden zu, die man mit einem fassenden Bogen gestalten will.

Der Konzertort Wartburg war natürlich eine sehr besondere Aufnahme-Location.
Michael Wollny: Wir traten dort im Rahmen eines Events zum 25-jährigen Jubiläum unseres Labels ACT auf. Dass am Ende eine Platte daraus entstehen würde, war zunächst nicht der Plan. Wenige Minuten vor unserem Aufbau wurden bis 17 Uhr noch Touristen durch den Saal geführt. Aber allein der Weg in den Konzertraum durch Höfe und über Treppen, der Blick auf die Landschaft und all das mit der Studiozeit in Oslo im Rücken, die erst eine Woche zurücklag, das war schon sehr romantisch.

Ein absolutes Erlebnis ist auf „Wartburg“ das Zusammenspiel mit dem Saxophonisten Emile Parisien. Ist das die Chemie des Augenblicks oder ganz einfach nur die Kraftquelle des Jazz?
Michael Wollny: Emile ist ein unglaublicher Saxofonist, das ist ja klar. Und die Chemie stimmt. Ich wusste vor allem aber von anderen Konzerten, dass er sich sehr schnell auf Situationen einstellen kann und entsprechend improvisiert. Daher war er die erste Wahl für unseren Gast-Solisten. Und wieder einmal hat sich gezeigt: Manchmal ist es besser, nicht zu proben. Es gibt ja die alte Weisheit von Heinz Sauer: ,Don’t Peak at Rehearsal.’ Man geht mit einer besonderen Anspannung und Offenheit auf die Bühne, wenn man weiß, man kann den nächsten Schritt nicht noch einmal machen.

Was war die Besonderheit an den Aufnahmen in den legendären Rainbow Studios in Oslo, in denen bereits so viele erfolgreiche Platten entstanden sind?
Michael Wollny: Vor allem war es für uns ein neuer, heller und sehr großer Studioraum. In Oslo arbeitet man bei Tageslicht, und wir waren dort im Herbst. Diese etwas melancholische Stimmung hat natürlich auch den Sound geprägt. Und vor allem der Toningenieur Jan Erik Kongshaug, der ja auch gerade wegen seiner ECM-Alben eine wahre Legende ist. Als Musiker bekommt man bis auf zwei Mikrofone, die er vor einem platziert, kaum etwas mit, was er da so macht – keine großartigen Verkabelungen oder Tricks. Am Ende klingt es doch unverkennbar nach Kongshaug, besonders auch dieser detailreiche Bass-Sound. Die Endmischung beider Alben hat dann aber Adrian von Ripka vom Tonstudio Bauer in Ludwigsburg übernommen, der uns ja sonst immer gemischt hat – es wurde sozusagen eine zweigeteilte Einheit.

Sie haben in Oslo auch mit Bläserensemble aufgenommen? Aber auf dem Album sind gar nicht so viele gemeinsame Stücke.
Michael Wollny: Wir hatten nie eine Platte mit Bläsern geplant, sondern einfach erst einmal Sessions – mit dem ganzen Ensemble und allein mit dem Trio. Danach haben wir das gemischt und hatten zudem noch die Live-Takes von der Wartburg, die ja eine Woche später entstanden sind. Wegen der hervorragenden Qualität der Aufnahmen wurde es dann nicht leichter eine Auswahl zu treffen. Auf einmal hatten wir vier Festplatten vor uns – Trio im Studio und live, mit Ensemble und als Quartett. Als unser Produzent Siggi Loch dann vorschlug, zwei Alben zu veröffentlichen, war der Knoten ganz einfach gelöst.

Das Ensemble-Stück „The Whiteness of the Whale“ haben Sie als Bonustrack ganz ans Ende des Albums gesetzt. Ich höre dieses Stück eigentlich eher als zentrales. Da deuten sich neue kompositorische Zukunftsperspektiven für das Trio an.
Michael Wollny: Ich wollte immer mal eine Platte machen, auf der nach 50 Minuten alles anders ist. „The Whiteness of the Whale“ setzt sich deutlich ab vom Rest der Stücke auf beiden Alben. Da steckt sehr viel Ausblick drin und auch Potenzial für Verstörung. Das gehört auch zu unserer Band. Immer dorthin schauen, wo man zuvor noch niemals war.

Sie sind inzwischen Familienvater. Hat sich das auch auf ihre Musik ausgewirkt?
Michael Wollny: Man nimmt als Elternteil eine fundamental neue Rolle ein. Wenn man so nahe bei seinem Kind erleben darf, wie sich Leben entwickelt – Sprache, Kommunikation, Ästhetik –, bekommt man eine ganz andere Perspektive dafür. Man lernt auch eine gewisse Gelassenheit und Räume bewusster zu öffnen und zu begrenzen. Mir ist zudem noch klarer geworden, dass ich nicht jedes Detail bestimmen kann, denn das birgt im Alltag mehr Konfliktpotenzial, als Entwicklungsmöglichkeiten. Und das gilt natürlich letztendlich auch für die Musik.

Hier der Artikel im Feuilleton der Südwest Presse

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